Meteorologen 2
Was kann man nun wirklich erkennen? In den letzten hundert Jahren und speziell in den letzten 20 hat sich die Welt auf dramatische Art und Weise verändert. Tut sie dies nicht immer? Ja, schon. Aber eine Häufung an dramatischen, neuen und nicht mehr zu verändernden Umständen macht mir bewusst, dass etwas Neues angefangen hat. Nennen wir es doch ruhig eine neue Epoche: Postmoderne – auch wenn manche da schon abkotzen möchten. Doch Post- bedeutet nicht Anti- oder das Ende der Modernen. Die Übergänge sind fließend und aufeinander aufbauend. Ich will mal unvollständig aufzählen:
· Politisch: nach 1./2. Weltkrieg, Kalter Krieg und 68er -> Fall der Mauer, Wegfall der Blöcke und Feindbilder, Terrorismus. Schuldenfalle, Sozialabbau, „Weltinnenpolitik“, Millenniumsziele der UN.
· Wirtschaftlich: Globalisierung, Mobilität, Dauerarbeitslosigkeit, Wegfall ganzer Berufsgruppen, Grenzen der Wissenschaft und Forschung, Internet.
· Soziologisch: Demographischer Wandel, Multikulti (alle Völker sind überall anzutreffen), Wegfall sozialer Bindungen, Völkerwanderungen (noch nie haben so viele Menschen ihren Wohnort/ihr Land gewechselt), „der gläserne Mensch“ (Datenschutz?), Wegfall von Autoritäten und Obrigkeit, Subjektivität und Relativismus lösen Vernunft und Objektivität ab.
· Religiös: Fundamentalismus/Fanatismus, Synkretismus/Esoterik, Religionswechsel (noch nie haben so viele Menschen ihre Religion gewechselt), „Ende“ der Metaerzählungen, dennoch steigende Suche nach Spiritualität.
· Ökologisch: Klimawandel, Ende der fossilen Rohstoffe in Sicht, Suche nach erneuerbaren Energien.
· Kulturell: Alles ist möglich, nichts gibt es nicht. Pluralismus, Mediengesellschaft.
Ulrich Giesekus hat einmal gesagt, dass Verdun, Auschwitz, Hiroshima, Gulag, Vietnam und Tschernobyl die Moderne begraben haben.
Die Frage lautet daher: Wie lebt man denn nun heute? Denn keiner kann darüber mehr verbindlich Auskunft geben. Ratlosigkeit macht sich breit. Viele Menschen haben bereits Zeichen der Zeit erkannt; doch gerade die Kirchen tun sich sehr schwer, auf diese neuen Rahmenbedingungen angemessen zu reagieren. Deshalb gibt es auch ganz viele neue Initiativen, Projekte und Workshops, die darauf reagieren wollen: a) zurück zur Moderne, b) Postmoderne gestalten, c) Postmoderne verteufeln, d) Global denken – lokal handeln.
Geistliche Meteorologen sollen wir sein, sagt Jesus. Da wir das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen können – im Gegenteil, es wird ja kräftig weitergedreht – müssen und dürfen wir die Chancen für das Evangelium von Jesus Christus klar benennen und leben! Vielleicht sind die Chancen sogar so gut, wie seit Jahrhunderten, wie seit Luther nicht mehr. Denn nur wenn der Mensch auf der Suche ist, findet er auch was (gut, etwas pauschal). Aber am Ende des Staatskirchentums (hier betätige ich mich mal prophetisch…), am Ende vieler zwielichtiger Autoritäten und Ordnungen gibt es in der Tat eine neue Sehnsucht nach ganzheitlicher, kraftvoller Spiritualität. Jesus sagt: „Heute hat sich dieses Wort vor euren Ohren erfüllt“ (Lukas 4, 21). Wir dürfen damit rechnen, dass Gott heute sein Reich bauen will, nicht erst morgen oder in der Post-Postmoderne.